Wenn die Blase platzt
Die ungefähre Lesezeit beträgt 20 Minuten.
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Blasenprobleme müssen nicht immer mit Inkontinenz einher gehen. Sie können auch genau das Gegenteil davon bedeuten: dass jemand gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt pinkeln kann. Dann sprechen Fachleute von einem Harnverhalt. Hierbei gibt es Ursachen, die allein bei Menschen mit Vulva beziehungsweise exklusiv bei denen mit Penis auftauchen – und jene, die beide Geschlechter betreffen. Wir haben sie zusammengetragen und erklären, in welchen Situationen sie sich unverzüglich ins Krankenhaus begeben sollten.
Der chronische Harnverhalt
Beim Harnverhalt werden zwei Formen voneinander unterschieden: die chronische Ausprägung, die auch als chronische Harnretention bezeichnet wird, und die akute Blockade der Harnwege.
Wen ein chronischer Harnverhalt betrifft, der kann zwar noch auf die Toilette gehen. Allerdings finden bei den Gängen immer nur kleine Urinmengen ihren Weg in die Kanalisation. Es kann sein, dass Betroffene auch danach Harndrang verspüren, mit Schmerzen einhergehen muss die Harnretention jedoch nicht zwangsläufig (Text: urologische Privatpraxis Rick Postma). Zu den Anzeichen können außerdem gehören:
- häufiges Urinieren
- eine sogenannte Überlaufinkontinenz
Auch wenn es nicht wehtut, so ist es dennoch nicht ungefährlich, wenn dauerhaft Urin in der Blase verbleibt: „Eine chronische Ischurie (…, Anmerkung: anderer Ausdruck für den Harnverhalt) kann jedoch Nierenschäden verursachen, da sich der Urin bis in das Nierenbecken zurückstauen kann“ (urologische Praxis). Des Weiteren birgt in der Blase zurückbleibender Restharn ein Infektionsrisiko. Darum besteht durchaus medizinischer Handlungsbedarf.
Der akute Harnverhalt
Dieser Handlungsbedarf besteht erst recht bei der plötzlich auftretenden Blasenentleerungsstörung: „Der akute Harnverhalt ist ein medizinischer Notfall und bedarf sofortiger Behandlung…“ (urologische Praxis). Betroffene oder deren Angehörige sollten in diesem Fall also nicht davor zurückscheuen, die 112 zu wählen. Steigt der Blasendruck nämlich ungehindert weiter, droht die Blase zu reißen. Eine Ischurie kann sich unter anderem durch folgende Symptome bemerkbar machen:
- Druckgefühl im Bauch
- dass der Bauch stark anschwillt
- starke Schmerzen
- unter Umständen Kreislaufprobleme
Quelle: Text urologische Privatpraxis
„Der akute Harnverhalt (…) stellt eine schwerwiegende Komplikation der benignen Prostatahyperplasie (BPH; Anmerkung: gutartige Vergrößerung der Prostata) dar. Bis zu 1,5 L Harn könnten sich in der Blase dieser Patienten ansammeln, drei- bis fünffach so viel wie bei Gesunden“, lässt sich einem älteren Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung entnehmen. Der Ausschnitt benennt bereits eine Patientengruppe, die ein akuter Harnverhalt treffen kann: Männer mit einer gutartig vergrößerten Prostata. Weil die sogenannte Vorsteherdrüse meist im fortgeschrittenen Alter ihre Form ändert, ist es wichtig, dass Männer ab Mitte 40 ihre Vorsorgetermine regelmäßig wahrnehmen (hier mehr zum Thema Männergesundheit).
MS, Geburten und Medikamente
Auch Frauen können im Übrigen unter einem Harnverhalt leiden. Einmal kann eine Gebärmuttersenkung die Harnleiter blockieren. Risiken birgt aber auch das Kinderkriegen: „Ein postpartaler Harnverhalt tritt nach ungefähr 5 Prozent aller vaginalen Geburten auf. Ursachen können Schwellungen oder Verletzungen der ableitenden Harnwege sein (…). Meist handelt es sich um eine vorübergehende Komplikation, die physiologisch auftritt und sich von allein wieder normalisiert“ (Deutsche Hebammen-Zeitschrift). Spätestens, wenn die Situation sechs bis zwölf Stunden lang anhält, sollte demnach ein Katheter für Erleichterung sorgen.
Weitere Ursachen für blockierte Harnwege können sein:
- Multiple Sklerose (MS, neurologische Erkrankung)
- Diabetische Polyneuropathie (neurologische Erkrankung)
- durch Operationen geschädigte Nervenbahnen
- psychische Probleme
- Medikamente
- Harn- und Nierensteine
- eine Querschnittlähmung
- ein schwerer Bandscheibenvorfall
- eine angeborene Harnröhrenverengung
- Blasenkrebs
- Blutgerinnsel
Quelle: Text urologische Privatpraxis und tena-Artikel
Betäubt, vom Schmerz befreit und außer Gefecht
Zu den Medikamenten, die unter anderem zu einem Harnverhalt führen können, zählen jene, die während und nach OPs eingesetzt werden: „Sowohl Betäubungsmittel als auch schmerzstillende Medikamente können bei einigen Patient*innen dazu führen, dass sie ihre Harnblase nach einer Operation nicht eigenständig entleeren können“, lässt sich einem Text auf der Seite „Deximed – Hausarztwissen online“ entnehmen. Demnach können Betroffene neben den oben genannten Symptomen auch Rückenschmerzen, neurologische Probleme, Übelkeit und Erbrechen, Blutdruckstörungen oder langsamen Puls spüren. Zudem sei es möglich, dass sie vorübergehend das Bewusstsein verlieren, verrät der Artikel. „Schmerzen und andere Symptome können aber auch völlig fehlen.“
Was sich bei einem postoperativen Harnverhalt ereignet, ist, dass die Blasenmuskulatur beziehungsweise die zuständigen Nerven aufgrund der Narkose- oder Betäubungsmittel wie gelähmt sind (Deximed). Schmerzstillende Medikamente verschlechtern die Körperwahrnehmung ebenfalls. Der Apparat registriere darum nicht, dass die Blase voll ist, weshalb sich das Urinreservoir auch nicht zusammenziehe, um seinen Inhalt loszuwerden, so der Text.
Doch: Wie oft kommt es denn eigentlich vor, dass sich derartige urologische Probleme nach einer OP ergeben? Auch darauf geht der Deximed-Artikel ein:
„Nach einer Spinalanästhesie, also einer Betäubung im Bereich des unteren Rückenmarks kommt es bei bis zu ¼ der Patient*innen zu einem Harnverhalt, bei anderen Operationen bei 4 – 29 %. Die Häufigkeit ist auch abhängig von Geschlecht und Alter der Patient*innen, Art und Dauer des operativen Eingriffs, vorbestehenden Blasenentleerungsstörungen sowie der Art der Anästhesie.“
In den acht bis zwölf Stunden nach einer OP sollten die betreffenden Menschen ihre Blase demnach wieder leeren können. Ist dem nicht so, sollte das medizinische Personal gegensteuernde Maßnahmen ergreifen.
Denn egal welche Ursache: Ein Harnverhalt kann weitreichende Folgen haben! Die Blasenwand kann danach so überdehnt sein, dass Betroffene das Reservoir nicht mehr richtig entleeren können; Restharn kann zurückbleiben und zu genannten Infektionen führen. Schlimmstenfalls droht der bereits erwähnte Blasenriss.
Was hilft?
Bei einer akuten Harnverhaltung sollten sich Betroffene unmittelbar ins Krankenhaus begeben. Dort nehmen die Ärzte und das Pflegepersonal Druck von der Blase, indem sie sie mithilfe eines Katheters leeren (urologische Praxis). Bis es so weit sei, verschafften Schonhaltungen etwas Linderung, erklärt genannter Artikel. Dafür könnten sich Betroffene auf den Boden legen und ihre Beine anwinkeln. Je nachdem, was die Ursache der Blockade ist, behandeln die Mediziner Betroffene. Laut Pharmazeutischer Zeitung gibt es längst Medikamente, die Abhilfe schaffen. In anderen Fällen ist eine Operation unumgänglich.
Bei Männern, die aufgrund einer gutartig vergrößerten Prostata eine chronische Harnretention haben, kann unter Umständen auch ein Blasentraining zum Erfolg führen (Coloplast-Text) . Welcher Behandlungsweg eingeschlagen wird, entscheidet der zuständige Urologe.
Hinweis: Dieser Text basiert auf einer Literaturrecherche. Wir haben an dieser Stelle gewissenhaft Informationen zusammengetragen, die aus – unserer Ansicht nach – seriösen Quellen stammen, sind aber keine Experten. Sollten Sie also vermuten, dass Sie einen chronischen Harnverhalt haben, dann sollten Sie unbedingt einen Arzt aufsuchen und professionellen Rat einholen! Bei einer akuten Blockade der Harnwege zögern Sie bitte nicht und rufen Sie direkt den Notarzt.
Einigen generellen Informationen sowie den markierten Zitaten liegen folgende Quellen zugrunde:
Urologische Privatpraxis Drs. (NL) Rick Postma „Was tun bei Harnverhalt?“ (Link), Stand: 15. Januar 2024.
Essity Germany GmbH (Tena) „Harnverhalt: Das sollten Sie darüber wissen“ (Link), Stand: 15. Januar 2024.
Pharmazeutische Zeitung online „Alfuzosin zur Behandlung des akuten Harnverhalts“ (Link), Stand: 15. Januar 2024.
Coloplast GmbH „Formen der Harninkontinenz“ (Link), Stand: 15. Januar 2024.
Elwin Staude Verlag GmbH (Deutsche Hebammen Zeitschrift) „Postpartaler Harnverhalt bei erstgebärenden Frauen“ (Link), Stand: 15. Januar 2024.
Gesinform GmbH (Deximed) „Postoperativer Harnverhalt“ (Link), Stand: 15. Januar 2024.