Männergesundheit

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„Vom Fußballspielen bekommt man keinen Hodenkrebs!“

Die ungefähre Lesezeit beträgt 10 Minuten.

Wer sich als Mann in aller Öffentlichkeit an sein bestes Stück greift, erntet vom Großteil der Gesellschaft einen irritierten bis angewiderten Blick – völlig zu Recht. Dass es aber in den eigenen vier Wänden auch abseits von intimen Momenten durchaus notwendig und gut ist, dass sich Menschen mit einem Penis regelmäßig mal in den Schritt fassen, das hat Universitätsprofessor Dr. med. Axel S. Merseburger jetzt im Interview betont. Der 46-Jährige ist Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.

Aus aktuellem Anlass: In den Reihen der Bundesliga-Spieler gibt es gerade vier Fälle von Hodenkrebs. Vier Spieler sind relativ zeitnah erkrankt. Das sind sportliche Männer in ihren 20ern. Ist das normal, dass das so häufig vorkommt? Ist das Zufall? Oder was sagen Ihre Statistiken?

Axel S. Merseburger: Gut, dass Sie das fragen. Ich bin Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Urologie und habe gerade in den letzten Monaten multiple Anfragen zu diesem Thema bekommen. Hodenkrebs ist generell ein sehr seltener Tumor, aber der häufigste Tumor bei Männern zwischen 20 und 40.

Hodenkrebs war früher eher ein Tabuthema. Damit hat niemand Werbung gemacht. Man ist generell mit Krebserkrankungen selten an die Öffentlichkeit gegangen. Das hat sich jetzt geändert – und das haben auch die Fußballspieler übernommen. Das sind vier junge Männer. Wenn Sie das hochrechnen, wie viele Männer in den Kadern der 1. und 2. Bundesliga spielen, kommt da statistisch auch Hodenkrebs vor. Dadurch, dass diese Menschen in der Öffentlichkeit stehen, bekommt man das auch mit. Früher hat sich keiner geoutet, heute wird das erfreulicherweise publik getan. Es handelt sich ja auch um keine Geschlechtserkrankung, sondern um etwas, wofür keiner etwas kann. Deshalb machen wir Kampagnen wie die von der Krebsgesellschaft: Check your balls! oder All for the balls! mit Holstein Kiel. Wir erinnern damit Männer zwischen 20 und 45 an Selbst-Checks.

Ich freue mich, dass die Fußballspieler so offen mit ihrer Erkrankung umgehen und so letztendlich auch viele andere Männer motivieren, regelmäßig eine Früherkennung zu machen, indem sie ihre Hoden abtasten. Ach, vom Fußballspielen bekommt man übrigens keinen Hodenkrebs! Sie lachen, aber ich bin das häufig gefragt worden.

Ab 45 Jahren hat man als Mann einen Anspruch auf eine Vorsorgeuntersuchung der Prostata und der äußeren Teile des männlichen Genitals. Ab dem Alter kann man das jährlich checken lassen – wenn man denn möchte. Für die Männer, über die wir eben gesprochen haben, kommt dieses Angebot definitiv zu spät. Muss sich an der Altersgrenze von 45 Jahren etwas ändern?

Axel S. Merseburger: Das eine ist Hodenkrebs. Die Vorsorge macht man selber, indem man regelmäßig – alle vier bis sechs Wochen – mal unter der Dusche seine Hoden abtastet. Das ist eine Früherkennung, um einen harten Hoden auch wahrzunehmen, dann zum Urologen zu rennen und sich weiter untersuchen und therapieren zu lassen. Das ist die eine Sache.

Die andere Sache ist die Früherkennung beispielsweise von Prostatakrebs. Das wird ab 45 empfohlen. Dadurch, dass der Hodentumor so selten ist, macht es keinen Sinn, jeden Mann mit 25 einmal im Jahr zum Urologen zu schicken. Lieber selber tasten. Das reicht.

Urologe Axel S. Merseburger

Urologe Axel S. Merseburger

Wie läuft denn so eine jährliche Untersuchung beim Arzt ab? Die scheint bei dem Geschlecht immer ein wenig angstbehaftet zu sein.

Axel S. Merseburger: Man denkt dabei immer an die Tastuntersuchung mit dem Finger im Enddarm. Die gehört natürlich immer noch dazu – ist aber in 20 Sekunden erledigt. Es wird ein Ultraschall der Blase und der Nieren gemacht. Dann wird der Urin untersucht. Und dann wird darüber aufgeklärt, ob es Sinn macht, den PSA-Wert (Anmerkung der Redaktion: Prostataspezifisches Antigen) abzunehmen. Wir empfehlen als Fachgesellschaft kein Massenscreening – wenn der Wert ganz niedrig ist, reicht es, ihn zwei, drei Jahre später wieder zu bestimmen und nicht jährlich. Aber ab 45 einmal zu wissen, wie ist der Wert, das ist das, was zu dieser Früherkennungsuntersuchung dazugehört.

Das klingt jetzt gar nicht so dramatisch.

Axel S. Merseburger: Nein, das ist auch nicht schmerzhaft!

Kann ich denn – wenn ich ein Mann wäre – vor meinem 45. Geburtstag im Falle der Prostata selbst etwas Auffälliges erkennen?

Axel S. Merseburger: Man kann zwar damit herumspielen, aber es gibt keine Vorsorge in dem Sinne. Und es gibt einen Unterschied zwischen Früherkennung und Vorsorge. Wenn Sie Ihr Kind eincremen, dann machen Sie eine super Vorsorge, weil es keinen Sonnenbrand kriegt und damit keinen Hautkrebs. Früherkennung ist, wenn sich der Hautarzt Pickel und Leberflecke mit der Lupe anguckt und sagt „Das könnte mal etwas werden“ und sie dann rausschneidet. Die Prostata kann man nicht eincremen und man kann auch nichts machen. Es gibt keine Medikamente. Selen wurde mal diskutiert, oder dass es helfen soll, viele Tomaten zu essen, damit man keinen Prostatakrebs kriegt. Aber das ist alles Quatsch. Es gab mal eine Publikation dazu, dass man, wenn man häufig Samenergüsse hat, seltener Prostatakrebs bekommt. Das hat auf dem Kongress damals für viele Lacher gesorgt. Es gab sogar eine wissenschaftliche Untersuchung mit Biomarkern von einer Urologin aus den USA vorgetragen. Das Poster war umringt von Kollegen, die das lustig fanden. Ein bisschen Wahrheit könnte dran sein: Physiologisch genutzte Organe, und dazu gehört auch die Prostata, sind in der Regel gesünder – wie das Gehirn, Muskeln, Sehnen, die genutzt werden…

Was man gut machen kann ist, dass man ab 45 oder – wenn man Vorerkrankungen in der Familie hat – mit 40 schon zur Früherkennung geht, um den Prostatakrebs dann festzustellen, wenn er noch auf die Drüse beschränkt ist und nicht erst, wenn er gestreut hat und man Knochenschmerzen hat.

Wenn Befunde auffällig sind, jemand Krebs in der Körperregion hat und daran operiert wird: Wie wahrscheinlich ist es, die Kontinenz, die man vorher hatte, nach der OP wiederzuerlangen?

Axel S. Merseburger: Nach einer Radikal-Prostatektomie, gibt es im unteren Prozentbereich, also bei um die fünf bis zehn Prozent der betreffenden Männer, eine ausgeprägte Inkontinenz. Die meisten Männer brauchen gerade anfangs nach der Operation ein bis zwei Vorlagen am Tag. Wenn gut operiert wurde, das Tumorstadium nicht zu hoch war und wenn die Patienten Beckenboden-Gymnastik machen, sind etwa 90 Prozent von ihnen nach einem Jahr wieder kontinent. Aber es gibt auch Männer, die nach so einem Eingriff dauerhaft inkontinent bleiben, weil der Schließmuskel sehr nah an dem OP-Bereich ist.

Nun gibt es ja nicht nur bösartige Erkrankungen der Prostata. Oft kommt ja auch eine gutartige Vergrößerung davon vor. Was verursacht das?

Axel S. Merseburger: Testosteronabhängig wächst die Prostata so ab 40 oder 50 und jeder 5. Mann muss daran therapiert oder operiert werden. Die gutartige Prostatavergrößerung ist eine Volkserkrankung, sie kommt ganz häufig vor. Bei der Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung kann es zu einer Harninkontinenz kommen, zum Beispiel wenn die Prostata ausgeschält wird. Wird sie nicht gut behandelt oder gar nicht behandelt, kann auch eine Überlaufinkontinenz entstehen.

Damit sind wir auch schon am Ende des Interviews angekommen. Vielleicht haben Sie noch ein paar abschließende Worte oder einen Appell für die Männer und die Männergesundheit.

Axel S. Merseburger: Mein Appell ist: Junge Männer, bitte denkt an eure Hoden und tastet sie regelmäßig ab! Googlen Sie alle mal Check your balls! Es gibt im Internet ganz viele Anleitungen, wie man das macht, um Verhärtungen zu tasten. Und dann gehen Sie lieber einmal mehr zum Hausarzt oder Urologen.

Den Männern ab 45 empfehle ich, erstmalig zur Früherkennung von Prostatakrebs zu gehen, sich dafür einen Urologen zu suchen und mit dem dann zu entscheiden, wie häufig man wiederkommt. Meist reicht das alle zwei, drei Jahre. Seien Sie kein Vorsorgemuffel! Die Frauen haben uns das vorgemacht, die sind viel besser bei der Früherkennung und Vorsorge mit regelmäßigen, gynäkologischen Untersuchungen. Insofern können wir da viel lernen und aufholen, in der Hoffnung, dieselbe Lebenserwartung wie eine Frau zu haben. Da gibt es ja noch einen großen Unterschied. Ich glaube, Männer werden im Schnitt 76 und Frauen mittlerweile 82 Jahre alt – trotz des Kinderkriegens.

Vorsorgemuffel

Von den 54- bis 70-jährigen Männern hat nur knapp ein Drittel in den vergangenen zehn Jahren mindestens dreimal seinen Anspruch auf eine Früherkennung wahrgenommen. Das verrät ein Bericht der AOK. Die Langzeit-Analyse hat Versicherte der Krankenkasse in den Jahren 2009 bis 2020 in den Fokus genommen. Corona brachte dann einen allgemeinen Einbruch bei der Krebsfrüherkennung.

Weiterführender Link: checkdichselbst.de

2 Antworten

  1. Ich bin etwas zu jung, um zu wissen, dass Hodenkrebs früher ein Tabuthema war. Aber ich finde es gut, dass auch in der Bundesliga darüber gesprochen wird. Es ist auf jeden Fall wichtig darüber zu reden und Männer zur Vorsorge zu animieren. Meinen Freund muss ich auch mal wieder eine Prostatauntersuchung zur Kontrolle zum Arzt schicken.

  2. Vielen Dank für diesen Artikel zur Männergesundheit. Gut zu wissen, dass die Tastuntersuchung beim Facharzt für Urologie nur wenige Sekunden dauert. Ich war noch nie beim Urologen und werde jetzt mal für eine Vorsorgeuntersuchung einen Termin vereinbaren.


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Juliane Klug

Als Redakteurin liebt es Juliane, in immer neue Themen einzutauchen. Wenn sie anderen Menschen komplexe Dinge verständlich näherbringen kann, ist sie in ihrem Element. Seit dem Frühjahr 2022 sorgt Juliane im Marketing-Team von Citycare24 für Content.

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