Wohnen für Hilfe

Wohnen für Hilfe

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biete Wohnraum

Die ungefähre Lesezeit beträgt 15 Minuten.

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Es hat Zeiten gegeben, da haben in dem freistehenden Einfamilienhaus im Bremer Osten sechs Personen gewohnt: Mutter, Vater, drei Söhne und eine Tochter. Mittlerweile sind die Jahre ins Land gezogen und Maria Wolz* ist seine einzige Bewohnerin. Die Kinder sind längst ausgezogen, der Mann vor mehr als einem Jahrzehnt gestorben. Damit steht der 87-Jährigen bei Weitem mehr Wohnfläche zur Verfügung, als die durchschnittlichen 47,7 Quadratmeter, die statistisch gesehen jeder Bundesbürger bewohnt (Statista 2021). Das findet Maria Wolz schade. Außerdem, sagt sie beim Vor-Ort-Termin: „Mit so einem großen Haus und Garten ist ja auch viel zu machen.“ Die sprichwörtliche Aussicht auf wieder mehr Leben in der Bude brachte vor Ausbruch der Coronapandemie ein Zeitungsartikel. Er drehte sich ums „Wohnen für Hilfe“.

Inhaltsverzeichnis

Nur Nebenkosten fallen an

Hierbei bieten Menschen – die Wohnraubgeber und -geberinnen – Räume an, die sie übrighaben. Die sogenannten Wohnraumnehmer und -nehmerinnen beteiligen sich finanziell lediglich an den Nebenkosten. Des Weiteren helfen sie der Person, die Wohnraum anbietet, im Haushalt, bei Arztbesuchen oder eben anderen Tätigkeiten, die den oft älteren Menschen allein nicht mehr so leicht von der Hand gehen. Maria Wolz beispielsweise war es wichtig, dass ihre Mitbewohnerin oder ihr Mitbewohner mal staubsaugt, die Wäsche aufhängt, kleine Einkäufe erledigt oder hin und wieder die Küche in Ordnung bringt. „Wenn das zwischendurch mal jemand anderes macht, ist das eine Erleichterung für mich“, sagt die für ihr Alter fitte Frau.

Wegen Corona wurde anfangs erst einmal nichts aus Maria Wolz‘ Idee. Im vergangenen Herbst war es dann allerdings so weit: Eine junge Studentin zog zu der Seniorin. „Da hatte ich ganz großes Glück“, sagt sie. „Das war wie eine Enkelin für mich.“ Die Bremerin spricht in der Vergangenheit von der 20-Jährigen, weil diese nach acht Monaten ihr duales Studium abgebrochen und kürzlich die Hansestadt im Norden gegen einen anderen Ort sehr viel weiter südlich getauscht hat. Dennoch ist der erste Schritt getan, Maria Wolz hat schon einmal erlebt, wie sich „Wohnen für Hilfe“ anfühlt und ist bereit für eine Wiederholung. Deshalb ist ihr Inserat aktuell wieder online.

zwei Zimmer, halbe Küche, Bad

Die junge Frau, die Wolz‘ Einfamilienhaus zuletzt in einen Zwei-Personen-Haushalt verwandelt hat, hat zwei möblierte Zimmer im Haus der älteren Frau bewohnt: ein Schlaf- und ein Wohn- sowie Arbeitszimmer. Sie hatte ihr eigenes Bad, die Küche haben sich die Frauen geteilt. Die Studentin sei eine ruhige Mitbewohnerin gewesen, erinnert sich die Seniorin; habe sie an ihrem Leben teilhaben lassen. Sie habe ihr bei Fragen zum Smartphone weitergeholfen, erzählt Maria Wolz, kleinere handwerkliche Dinge erledigt und sie sogar mal zum Arzt gefahren. „Aber das ist nicht Voraussetzung“, betont die Seniorin.

Zudem habe die Studentin die Seniorin im Haushalt unterstützt. Allerdings mussten die beiden Frauen an der Stelle auch erst lernen, dieselbe Sprache zu sprechen. Anfangs hatte Wolz die Hoffnung, ihre Wohnraumnehmerin plane regelmäßig quasi frei verfügbare Zeit für sie als Wohnraumgeberin ein. Später stellte sie fest, dass diese besser damit zurechtkam, wenn Wolz ihr konkrete Aufgaben frühzeitig ankündigte. „Was niedlich war: Sie ist jeden Abend ins Wohnzimmer gekommen und hat ,gute Nacht‘ gesagt“, erzählt die 87-Jährige. Auch sonst fällt Maria Wolz‘ Fazit ihrer ersten Erfahrung mit „Wohnen für Hilfe“ positiv aus. Andernfalls wäre sie wohl auch nicht direkt wieder willens, jemandem komplett fremden ihre zwei Zimmer, die halbe Küche und ein Bad zur Verfügung zu stellen.

„Die Chemie muss halt stimmen”

Was die Person mitbringen soll? Die passionierte Spaziergängerin wünscht sich einen vertrauenswürdigen Menschen in ihrem Haus, jemanden, der ehrlich ist und mit dem man offen Dinge ansprechen kann, die eine der Parteien stören. Zudem sollte er oder sie hilfsbereit sein und empathisch, sodass es im Bereich des Möglichen liegt, auch mal einen Tee zu kochen, sollte es der älteren Dame nicht gut gehen. „Mir ist wichtig, dass er oder sie mit anfassen kann“, sagt Maria Wolz. Ein Führerschein wäre praktisch. Aber: „Letztlich kommt es auf die Sympathie an. Die Chemie muss halt stimmen. Das ist immer das Entscheidende.“

*Name von der Redaktion geändert

Zimmer frei?

Hohe Mieten – besonders in Städten – und generell knapper Wohnraum auf der einen Seite. Auf der anderen leerstehende Räume, die trotzdem unterhalten werden müssen und oft ältere einsame Hausbesitzer und Hausbesitzerinnen. „Wohnen für Hilfe“ löst die Probleme auf beiden Seiten – eine Win-win-Situation.

Wer sich für diese Wohnform entscheidet, schließt am besten einen Vertrag mit der jeweils anderen Partei. Darauf können sich beide im Ernstfall berufen. Körperliche Pflege gehört nicht zu der Unterstützung, die Wohnraumnehmerinnen und -nehmer bei den Wohnraumgeberinnen und -gebern leisten müssen. Das Bremer Netzwerk Selbsthilfe erklärt online außerdem, dass die Studierenden eine Stunde Arbeit pro Quadratmeter im Monat erbringen sollten – jedoch nicht mehr als 25 Stunden. Es ist Träger von „Wohnen für Hilfe“ in Bremen. Für die Vermittlung kooperiert das Netzwerk seit dem Jahr 2014 mit dem örtlichen Studierendenwerk.

Michael Siemer leitet das Projekt in der Hansestadt. 2022 hat es acht Vermittlungen gegeben, erzählt er am Telefon. Diejenigen, die den Wohnraum in Anspruch nehmen, sind laut ihm oft männlich – insbesondere, wenn es sich dabei um Studierende aus dem Ausland handelt. Dafür sind es Siemer zufolge meist Frauen, die ihre Räume zur Verfügung stellten. Der Experte begründet das einmal mit der höheren Lebenserwartung. Schon öfter habe er Wohnraumgeberinnen, die über 90 Jahre alt sind, Mitbewohner und Mitbewohnerinnen vermittelt. Und: „Vielleicht sind Frauen auch ein Stück mutiger“, fügt er hinzu.

Meist bringt Michael Siemer Menschen in der Stadt zusammen, manchmal auch im Umland – „wenn es denn verkehrsgünstig gelegen ist“. Im Kern, so sagt Michael Siemer, gelte das Angebot für Studierende der öffentlichen Hochschulen. Allerdings seien Ausnahmen nicht ausgeschlossen.

Michael Siemer

Michael Siemer

Michael Siemer

Einigen generellen Informationen sowie den markierten Zitaten liegen folgende Quellen zugrunde:

Netzwerk Selbsthilfe Bremen-Nordniedersachen e.V. (Link), Stand: 12. April 2023.

Statista GmbH (Link), Stand: 22. September 2022.

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Juliane Klug

Als Redakteurin liebt es Juliane, in immer neue Themen einzutauchen. Wenn sie anderen Menschen komplexe Dinge verständlich näherbringen kann, ist sie in ihrem Element. Seit dem Frühjahr 2022 sorgt Juliane im Marketing-Team von Citycare24 für Content.

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