Verreisen mit Pflegegrad

Verreisen mit Pflegegrad
Reisen und Urlaub mit Pflegegrad

Den Pflegegrad im Gepäck

Die ungefähre Lesezeit beträgt 25 Minuten.

Die ungefähre Lesezeit beträgt 25 Minuten.

Einmal rauskommen, durchatmen, die Seele baumeln lassen und den Alltag vergessen; etwas anderes erleben und vielleicht sogar den eigenen Horizont erweitern: Das ist Urlaub! Diese Reset-Wirkung, das Runterfahren oder das Abenteuer, sind nützlich. Von der Kraft, die Reisende dadurch tanken können, zehren sie im Idealfall noch lange, nachdem der Urlaub vorüber ist. Das wiederum ist besonders wichtig, um mit dem manchmal zermürbend schnellen Tempo des Alltags Schritt zu halten oder – je nach Lebenssituation – auch seine Eintönigkeit zu bewältigen. Menschen mit Assistenzbedarf und denjenigen, die Angehörige pflegen, geht es da nicht anders als allen anderen. Nur wirkt die Urlaubsplanung für sie erst einmal komplizierter. Dass es aber dennoch sehr viele Möglichkeiten gibt, wie auch Personen mit einem Pflegegrad und ihre Unterstützer und Unterstützerinnen an Erholung kommen, steht im nun folgenden Text.

Inhaltsverzeichnis

Organisiert

Zusammen unterwegs

Wer sich im Internet ein bisschen schlau macht, findet schnell einige Anbieter, die sich auf Reisen für Menschen mit einem Pflegegrad spezialisiert haben. Ein Beispiel ist der Verein „Urlaub & Pflege“ (urlaub-und-pflege.de) aus Münster. Er bietet Erholung für Gäste mit einem Pflegebedarf bis Grad 5 an und beschreibt auf seiner Homepage, dass unter anderem Rollstuhlfahrer, Menschen mit einer Sehbehinderung sowie an Demenz erkrankte Reisende willkommen sind. Neben „Urlaub & Pflege“ gibt es selbstverständlich auch einige kommerzielle Anbieter auf dem Markt. Dazu gehören unter anderem:

  • „Reisen für alle“ (www.reisen-fuer-alle.de)
  • Runa-Reisen (www.runa-reisen.de)
  • Bsk-Reisen (bsk-reisen.org)

Der Münsteraner Verein und „Reisen für alle“ haben sich hauptsächlich auf barrierefreie Ziele und Hotels in Deutschland spezialisiert. Man kann schließlich auch etwas erleben, ohne erst Tausende Kilometer von zu Hause weg zu fahren. Bsk- und Runa-Reisen haben daneben auch Kreuzfahrten im Programm. Sie steuern die Karibik an oder Destinationen wie Peru, China, Botswana, die USA oder die Vereinigten Arabische Emirate. Außerdem haben Interessierte bei ihnen oft die Wahl zwischen Individualreisen oder Gruppenreisen, auf denen sie sich mit anderen austauschen können. Das kann auch für begleitende Angehörige ein echtes Plus sein.

Zahlreiche dieser Angebote richten sich in erster Linie an Personen, die einen Rollstuhl, einen Rollator oder Stützen nutzen. Die Reiseveranstalter verweisen auf ihren jeweiligen Internetseiten allerdings auch auf Betreuungsangebote, spezielle Pflegehotels oder die Möglichkeit, auch im Ausland Dialysen zu erhalten.

Die Bundesregierung erklärt in einem Infotext online, dass die Kassen unter Umständen sogar einen Teil der Kosten für bestimmte Pflegehotels übernehmen. Voraussetzung dafür ist, dass die Reisenden mindestens einen Pflegegrad von 2 besitzen. Die Pflegekasse zahlt Angehörigen außerdem auch im Urlaub Pflegegeld. Wer auf seiner Reise auch Urlaub von der Fürsorge, aber nicht von dem sonst umsorgten Menschen machen möchte, der hat im Übrigen die Möglichkeit, die sogenannte Verhinderungspflege zu beantragen. Wird sie bewilligt, übernimmt die Kasse die Kosten für eine Ersatzkraft, die in dieser Zeit einspringt. In beiden Fällen – den Zuschuss fürs Hotel oder für eine Ersatzkraft – ist es wichtig, vor Reiseantritt Kontakt mit der Pflegekasse aufzunehmen.

Auszeit von Gepflegten oder pflegenden Angehörigen

Verhinderungspflege kann auch beantragen, wer nicht mit dem Menschen, den er sonst im Alltag umsorgt, verreisen möchte. Hier greift die Verhinderungspflege bis zu sechs Woche pro Jahr – im Übrigen auch, wenn der oder die Pflegende krank ist.

Eine andere Möglichkeit stellt die Kurzzeitpflege dar. Dahinter verbirgt sich die temporäre Unterbringung in einer stationären Pflegeeinrichtung. Für Frauen und Männer mit einem Pflegegrad von mindestens 2 kommt die Pflegeversicherung jährlich für Kurzzeitpflege-Leistungen in Höhe von 1774 Euro auf. Das lässt sich einer weiteren Internetseite der Bundesregierung entnehmen. Für bis zu acht Wochen können Betroffene die Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen. „Pflegebedürftige Personen mit dem Pflegegrad 1 können den Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125 Euro pro Monat, also bis zu 1500 Euro pro Jahr, einsetzen, um Leistungen der Kurzzeitpflege in Anspruch zu nehmen“, heißt es weiter. Bislang nicht benötigte Verhinderungspflege kann dafür zusätzlich eingesetzt werden. Bezieherinnen und Bezieher von Pflegegeld bekommen übrigens in dieser Zeit nur die halbe Summe des sonstigen Betrags überwiesen, schreibt die Regierung.

Aber es gibt ja nicht nur den Fall, dass die oder der pflegende Angehörige mal eine Auszeit benötigt. Auch Menschen mit Assistenzbedarf möchten sich schließlich beispielsweise mal ohne die eigenen Eltern ins Abenteuer stürzen. Eine nützliche Seite für diese Fälle ist die, auf der die Lebenshilfe vor allem für Menschen mit Lernschwierigkeiten Reisetipps in leichter Sprache zusammengestellt hat (siehe Links am Textende). Unter der Überschrift Lebenshilfe-Tours engagieren sich der Verein und einige andere Institutionen sowie Reiseanbieter in dem Bereich für mehr Teilhabe von Menschen mit Assistenzbedarf. Weitere Infos gibt es online (lebenshilfe-tours.de).

Reisen mit Pflegegrad
Reisen mit Pflegegrad

Selbst auf Achse

Mit der Bahn und dem ÖPNV

Der Mobilitätsservice der Deutschen Bahn ermöglicht beispielsweise Rollstuhl fahrenden Gästen die Zugreise. Nach Anmeldung stellt das Unternehmen etwa mit einem Hublift sicher, dass der Rolli inklusive Nutzerin oder Nutzer in das Zuginnere gelangen und die Fahrt für sie oder ihn beginnen kann. Die Bahn-Mitarbeiter helfen Reisenden auch beim Umsteigen. Erreichbar ist die Mobilitätsservice-Zentrale (MSZ) in Internet (siehe Links am Textende). Auf der Seite finden sich zudem Reise-Informationen in leichter Sprache. Des Weiteren können Interessierte per E-Mail an msz@deutschebahn.com mit der MSZ Kontakt aufnehmen oder unter der Telefonnummer 030 – 65 21 28 88.

Blinde Menschen, die ihren Assistenzhund mitnehmen möchten, müssen laut der Bahn ein Attest, ein Schreiben der Ausbildungsstätte des Hundes oder Ähnliches mitführen.

Einige Personen schlafen ruhiger, wenn sie ihre bevorstehende Anreise auf der Schiene schon einmal in Gedanken abgefahren sind. Dabei hilft ihnen die App Bahnhof Live. Mit ihr können sie in Echtzeit Informationen über 5400 Bahnhöfe sowie alle Haltestellen des ÖPNV abfragen. So können Reisende herausfinden, wo es aktuell Fahrstuhl-Probleme gibt, welcher Bahnhof stufenlos auskommt, wo es in dem von ihnen ausgesuchten ICE Rollstuhlstellplätze gibt und mehr.

Über den Wolken

Der Zug ist nur ein Fortbewegungsmittel, um an den Urlaubsort zu kommen. Ein anderes ist das Flugzeug. Menschen mit Lernschwierigkeiten oder eingeschränkter Mobilität können sich auch hier beim Check-in sowie dem Boarding helfen lassen – wenn nötig auch mit einem speziellen Hubliftwagen, eigenem Shuttle und Bordrollstuhl. Kim Lumelius, eine Reisebloggerin, die den Rollstuhl nutzt, verrät auf ihrem Blog wheeliewanderlust.de Näheres zu den Maßen fahrbarer Untersätze sowie der Beschaffenheit von Batterien, die man mit an Bord nehmen darf. Wir kommen später noch einmal zu ihrem Blog zurück. Doch vorerst geht es weiter ums barrierefreie Fliegen.

Die Lufthansa rät Passagierinnen und Passagieren mit Betreuungsbedarf, sich mindestens 48 Stunden vor Abflug zu melden. Später könne die Betreuung nicht mehr garantiert werden. Sollten Sie auf Hilfsmittel angewiesen sein, so befördern die Airlines diese separat verpackt unter Umständen als kostenloses Sondergepäckstück (nähere Infos haben wir im Text „Verreisen mit Inkontinenz“ schon einmal herausgerückt). Informieren Sie sich hierzu bei der Fluggesellschaft, bei der Sie ein Ticket erworben haben.

Noch ein nützlicher Tipp, um sich als Mensch, der mit einer Behinderung lebt, möglichst kostengünstig fortzubewegen, ist: Nehmen Sie Ihren Anspruch auf Nachteilsausgleich wahr! Mit dem orange-grünen Schwerbehindertenausweis und bestimmten Merkzeichen können Sie sich kostenlos mit den Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) fortbewegen – auch an Ihrem Urlaubsort, sofern dieser in Deutschland liegt. Zu den entsprechenden Merkzeichen, die Sie zum Erwerb eines dafür nötigen Beiblatts inklusive Wertmarke befähigt, gehören dem Portal enableme.de zufolge:

  • G (erhebliche Gehbehinderung)
  • aG (außergewöhnliche Gehbehinderung)
  • H (hilflos)
  • Bl (blind)
  • Gl (gehörlos)

Unter gewissen Umständen bekommen Menschen mit Assistenzbedarf die Wertmarke sogar kostenlos. Und: „Schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G oder Gl können alternativ die Kraftfahrzeugsteuerermäßigung in Anspruch nehmen. Liegt das Merkzeichen aG, Bl, oder H vor, kann die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung zusätzlich in Anspruch genommen werden.“ (schwerbehindertenausweis.de)

Mit dem Auto

Damit wären wir beim Auto angekommen. Wer sich damit ins Ausland aufmacht, der sollte sich zuvor den blauen Parkausweis bei der zuständigen Behörde seiner Kommune besorgen. Er ist innerhalb der EU gültig und sichert betreffenden Personen bevorzugt gelegene sowie großzügiger gestaltete Parkplätze zu.

Stille Örtchen finden

Auf längeren Bus- oder Autofahrten ist erfahrungsgemäß immer irgendwann der Zeitpunkt erreicht, an dem eine Pause ansteht. Um frische Luft zu schnappen, sich die Beine zu vertreten, etwas zu essen – oder aufs Klo zu gehen. Blasen wollen schließlich entleert und Windeln gegebenenfalls auch mal gewechselt werden. Nicht alle Menschen können einfach so das nächstgelegene stille Örtchen nutzen. Sie benötigen mindestens ein Behinderten-WC, wenn nicht sogar eine noch bessere Ausstattung. Genau für sie – für Personen mit schweren und mehrfachen Behinderungen – macht sich die Stiftung Leben pur mit ihrem Projekt „Toiletten für alle“ (toiletten-fuer-alle.de) stark. Hier finden Interessierte Karten, auf denen Sanitäranlagen verzeichnet sind, die beispielsweise eine höhenverstellbare Liege bieten. Mithilfe dieser sowie etwa einem Lifter kommen schwer behinderte Männer und Frauen leichter aufs Klo und schneller an frisches Inkontinenzmaterial.

Wer mit der Ausstattung herkömmlicher Behinderten-WCs klar kommt, oder einfach öfter ins Bad muss, für den bietet sich vielleicht die App „Die nette Toilette“ an. Hier sind Händler, Cafés oder Restaurants in Deutschland und der Schweiz verzeichnet, die ihre Toiletten kostenlos zur Verfügung stellen – nicht nur ihrer Kundschaft. Möglich ist das durch die Kommunen, die für die Bereitstellung eine Aufwandsentschädigung zahlen. Im Gegenzug müssen die Städte und Gemeinden keine zusätzlichen eigenen öffentlichen Sanitäranlagen bauen.

Seit 1986 gibt es außerdem den Euro-WC-Schlüssel. Der Club Behinderter und ihrer Freunde (CBF) aus Darmstadt hat ihn erfunden (cbf-da.de). Der Universalschlüssel ermöglicht Menschen mit Behinderungen den Zugang zu behindertengerechten Sanitäranlagen an Raststätten, Bahnhöfen, bei Behörden und an anderen Orten. Mittlerweile hat er sich seinen Weg über die Landesgrenzen hinaus gebahnt und öffnet EU-weit etwa 12000 Schlösser.

Barrierefreie Plätze am Urlaubsort

Eingangs erwähnte Reiseveranstalter kennen sich mit barrierefreien Hotels auf der gesamten Welt aus. Fans von Städtereisen finden auf der Homepage travelable.info tolle Routen. Für den Fall, dass der Urlaubsort längst feststeht, Reisenden aber noch die richtigen Restaurants und Wege fehlen, hilft Google Maps weiter. Wer sich dort eine Strecke mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anzeigen lässt, kann bei den Routenoptionen (bei den drei Punkten zu finden) rollstuhlgerecht anklicken. Zusatzinfos über barrierefreie Orte gibt die App per Klick auf das Profilbild à Einstellungen à Bedienungshilfen preis.

Daneben gibt es auch noch die Wheelmap (wheelmap.org). Das ist eine Online-Karte, bei der es Informationen zu Plätzen gibt, die Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer problemlos erreichen können. Ausgedacht hat sie sich der Verein Sozialhelden, Aktivistinnen und Aktivisten um Raúl Krauthausen, die sich für mehr Teilhabe einsetzen. Wer barrierefreie oder auch extrem barrierereiche Orte findet, die noch nicht in der Wheelmap verzeichnet sind, kann diese melden. Denn die App setzt auf Schwarmwissen. Mithilfe eines Ampelsystems profitieren später andere von genau diesen Tipps. Im Fokus stehen im Übrigen Bibliotheken, Restaurants, Kinos, Cafés, Museen, Geschäften und weitere Orte.

Apropos Ausflugsorte: Je nachdem was die Betreiber von Museen, Schwimmbädern oder anderen Institutionen festgelegt haben, bekommen Inhaber und Inhaberinnen eines Schwerbehindertenausweises und zugelassene Begleitpersonen das Eintrittsgeld erlassen oder zumindest eine Vergünstigung. Nachfragen lohnt sich also! Einen Anspruch darauf haben Menschen mit Behinderungen allerdings nicht.

Inspiration

So – und wer nun keine Sekunde länger darauf warten kann, sich den nächsten Urlaub zu buchen, aber sich dafür noch ein bisschen inspirieren lassen möchte, der kann sich hier richtig viele Ideen holen:

  • wheeliewanderlust.de: Hier schreibt die Mannheimerin Kim Lumelius über die Ausflüge und Reisen, die sie mit ihrem Rollstuhl Lutzi innerhalb Deutschlands, in Europa und der großen weiten Welt erlebt. Hotelzimmer-Fotos und Restaurant-Empfehlungen inklusive
  • auf der Seite zypresseunterwegs.de bloggt Ulrike Löhr, Düsseldorfer Buchhändlerin und Juristin, über barrierefreie Reisen. Sie ist Ü60 und bereist mit ihrem Mann, der einen Rollstuhl nutzt, die ganze Welt.
  • Der Schweizer Jean Baldo ist von Geburt an blind und gern unterwegs. Von seinen Erfahrungen berichtet der Mitarbeiter eines Dunkelrestaurants auf seinem blindblog.ch. Auch Gastautoren hat der Mittvierziger schon für Artikel gewinnen können.
  • Hinter mobilista.eu verbergen sich Adina und Timo Hermann. Adina ist Vorständin bei den Sozialhelden und nutzt einen Rollstuhl. Auch dieses Paar ist gern unterwegs – in Europa, aber auch mal auf anderen Kontinenten.

Einigen generellen Informationen sowie den markierten Zitaten liegen folgende Quellen zugrunde:

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Link), Stand: 07. Oktober 2022.

Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (Link), Stand: 07. Oktober 2022.

DB Vertrieb GmbH (Link), Stand: 07. Oktober 2022.

Deutsche Lufthansa AG (Link), Stand: 07. Oktober 2022.

Stiftung MyHandicap gemeinnützige GmbH (Link), Stand: 07. Oktober 2022.

Seh-Netz e.V. (Link), Stand: 07. Oktober 2022.

Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. (Link), Stand: 07. Oktober 2022.

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Juliane Klug

Als Redakteurin liebt es Juliane, in immer neue Themen einzutauchen. Wenn sie anderen Menschen komplexe Dinge verständlich näherbringen kann, ist sie in ihrem Element. Seit dem Frühjahr 2022 sorgt Juliane im Marketing-Team von Citycare24 für Content.

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