Reizblase

Reizblase
Birgit Bulla Interview

„Ich war teilweise total sauer auf meine Blase“

Die ungefähre Lesezeit beträgt 15 Minuten.

Die Prostata, diverse Geburten – und natürlich das Alter: Das sind die typischen Auslöser oder Wegbereiter einer Inkontinenz. Unsere heutige Interviewgästin hat ihre Dranginkontinenz allerdings aus heiterem Himmel bekommen. Birgit Bulla war 27 als sie merkte, dass ihre Blase ihr ab jetzt keine Zeit mehr gibt, noch schnell die nächste Toilette auszumachen, die Kachelraum-Tür zu schließen und Körperkontakt mit dem Klo herzustellen, bevor ihr Muskel Urin nach draußen entlässt. Seitdem arrangiert sich die heute 39-jährige Münchnerin mit ihrer Reizblase. Hat sogar unter ihrem Pseudonym Pinkelbelle einen Blog geschrieben und anschließend unter ihrem Klarnamen Bücher über die Blase veröffentlicht. Im Gespräch geht sie unter anderem auf ihr persönliches Wohlfühl-Wording ein, wie Botox ihr Leben verändert hat und warum es auch etwas Gutes hat, dass ihre Schwester jetzt im selben Boot sitzt wie sie. Weil wir ihr bei Insta begegnet sind, ist dieser Text ein Duz-Text.
Du bist Redakteurin, führst Interviews, besprichst auch schon mal vor der Kamera mit Florian David Fitz und Palina Rojinski oder Chris Pratt deren neueste Filme. Du bist sichtbar in deinem Beruf. Gleichzeitig veröffentlichst du Bücher zu deiner Reizblase und sprichst ganz offen über Inkontinenz. Das betrifft dich privat. Nehmen dich Menschen jetzt anders wahr als früher – auch im beruflichen Kontext?

Birgit Bulla: Gute Frage… Darüber habe ich mir wirklich noch gar keine Gedanken gemacht. Ich glaube nicht, dass mich Menschen anders wahrnehmen, weil immer noch ganz viele nicht wissen, wer ich bin oder dass ich Pinkelbelle [Anmerkung: Alter Ego für ihren Blog und Instagram-Name von Birgit Bulla] bin und ein Buch geschrieben habe. Es ist nicht so, dass mich die Leute auf der Straße erkennen.

Aber als es losging und es hieß, dass ich auf dem Cover meines Buches drauf bin, das war schon ein bisschen schwierig. Denn als ich den Blog Pinkelbelle gestartet habe, da wollte ich unbedingt verhindern, dass jemand weiß, wer ich bin. Deshalb habe ich dieses Alter Ego erschaffen, eine Comicfigur. Dann musste aber das Impressum auf die Seite und ich dachte nur: Nein, dann kennt ja auch jeder meine Adresse… Ich habe mich dann selber langsam damit angefreundet.

Die Allgemeinheit verknüpft Inkontinenz immer noch eher mit alten Menschen. War das auch bei dir so, als du mit Mitte 20 Blasenprobleme bekommen hast? Und wie hast du das mit deinem Selbstbild vereinbart damals?

Birgit Bulla: Als das angefangen hat, dachte ich wirklich: „Um Gottes Willen, ich bin doch erst 27. Das kriegen doch nur alte Menschen. Das kann doch gar nicht sein.“ Aber ich wusste zum damaligen Zeitpunkt auch noch nicht, was eine Dranginkontinenz oder eine Belastungsinkontinenz ist, weil ich mir darüber nie Gedanken gemacht hab‘. Warum auch? Das einzusehen, das war am Anfang schon sehr schwierig für mich.

Ganz am Anfang dachte ich noch, es sei eine Entzündung und meine Blase sei nur gereizt und gestresst und meckert deswegen rum. Aber als meine Probleme dann einfach nicht weggingen, sondern blieben, war das schon eine schwierige Zeit. Ich war teilweise total sauer auf meine Blase und meinen Körper, wenn wieder irgendetwas passiert war oder ich gemerkt habe, dass ich am normalen Leben irgendwie nicht mehr richtig teilhaben kann. Mein Alltag war ganz anders. Ich habe nicht wertgeschätzt, wie toll das ist, wenn der Körper normal funktioniert. Dass die Blase und der Schließmuskel richtig funktionieren, war für mich vorher immer selbstverständlich. Als das dann nicht mehr so war, wurde mir klar, wie schlimm das wirklich ist. Ich habe auf jeden Fall jetzt mehr Respekt vor dem ganzen Vorgang, vor der Miktion – also dem Pinkeln.

Ich habe übrigens ganz lange immer davon gesprochen, dass ich eine Reizblase hab‘ – ehrlich gesagt tue ich das manchmal immer noch. Mir ist es einfach lieber, wenn Leute sagen, dass ich eine Reizblase mit einer Drangsymptomatik habe, als wenn es heißt: „Frau Bulla, Sie haben eine Dranginkontinenz.“

Das ist lustig, dass du das erwähnst. Ich bin vor unserem Telefonat meine Fragen noch mal durchgegangen und habe dabei festgestellt, dass ich überall Reizblase geschrieben habe. Wenn man zu dir recherchiert, kommt tatsächlich hauptsächlich dieses Wort vor. Aber ich verstehe das. Es klingt ein bisschen – netter als Dranginkontinenz.

Birgit Bulla: Ja, voll. Weil sich die Leute darunter weniger vorstellen können, als wenn du sagst, dass du inkontinent bist.

Magst du mal ganz kurz beschreiben, wie sich die Symptome bei dir gezeigt haben und ob sie plötzlich da waren oder sich deine Blasenprobleme angebahnt haben.

Birgit Bulla: Schon als Kind musste ich sehr oft aufs Klo. Als ich dann älter war, musste ich auf die Toilette, sobald ich in der Kneipe ein Bier getrunken habe. Danach konnte man die Uhr stellen. Das war dann immer eine Art running Gag. Das war halt normal – es war zwar lustig, aber es nervt auch. Und dann war ich mit 27 mit meiner Schwester in den USA auf einem Roadtrip. Wir waren gerade in San Francisco und haben ein Foto mit einer Gruppe von Leuten gemacht, die wir kennengelernt haben. Ich weiß wirklich noch, dass ich da stehe und plötzlich so unfassbar dringend aufs Klo muss… als ob ich den ganzen Tag nicht auf der Toilette gewesen wäre und meine Blase kurz vorm Platzen ist. Instinktiv habe ich mich sofort hingekniet und meine Ferse in den Beckenboden gedrückt. Da ist der Drang relativ schnell wieder abgeflacht. Ich habe mich gewundert, was das jetzt war und bin sofort aufs nächste Klo gerannt. Es kann aber nicht viel raus aus meiner Blase, die war gar nicht voll. Ab dem Zeitpunkt war es ständig so: von null auf hundert, von hundert auf null – immer wieder dieser Pinkeldrang. Diese Symptomatik ist wirklich total plötzlich gekommen, hat sich gar nicht angekündigt, sondern ist gekommen und seitdem leider auch nie wieder gegangen.

Also hat sich an deinen Beschwerden gar nichts geändert über die Jahre?

Birgit Bulla: Seitdem ich mir Botox in die Blase spritzen lasse, hat sich schon etwas geändert. Aber ohne Botox wäre es jetzt wahrscheinlich genauso schlimm wie am Anfang.

Wo du es gerade erwähnst: Wie hilft dir das Nervengift gegen deine Dranginkontinenz?

Birgit Bulla: Bei einer Reizblase oder Dranginkontinenz drückt sich meist der Muskel, also der Detrusor viel zu schnell und viel zu früh zusammen. Die Blase ist noch gar nicht voll, da fängt er schon an, total zu pressen. Wenn Botox in diesen Blasenmuskel injiziert wird, wird er quasi lahmgelegt. Wenn ich mir Botox in die Stirn spritzen lasse, dann verschwinden ja auch die Falten, weil ich meine Stirn nicht mehr runzeln kann. So ist es bei der Blase eben auch. Das führt dazu, dass der Blasenmuskel einfach nicht mehr überaktiv ist und ich diesen Drang einfach gar nicht mehr in der Form habe.

Mit faltenfrei hat das also nichts zu tun.

Birgit Bulla: Nee, mit lahmgelegtem Muskel.

Und wie lange hält so etwas vor?

Birgit Bulla: Das kommt immer darauf an, wie der Stoffwechsel ist. Es heißt, dass die Wirkung von Botox zwischen drei bis zwölf Monate lang anhält. Ich habe das Glück, dass das Botox ungefähr ein Jahr hält. Mitte Februar habe ich den nächsten Termin. Ich bin so dankbar dafür, dass ich Botox ausprobiert habe. Ohne ginge es mir wirklich schlechter!

Du hast dich auch schon mal bei der Injektion medial begleiten lassen, richtig?

Birgit Bulla: Genau, ja. Ich würde schon sagen, dass das etwas Außergewöhnliches ist. Das merke ich auch immer an meinem Umfeld. Wenn ich das erzähle, dass ich mir Botox in die Blase spritzen lasse, dann werden die Augen meines Gegenübers immer ganz groß. Die Leute können sich darunter gar nichts vorstellen.

Ist das eine Therapiemethode, die von den Krankenkassen übernommen wird?

Birgit Bulla: Gott sei Dank, ja. Ich glaube, das stand ganz lange auf der Kippe. So lange wird diese Therapie auch noch gar nicht angeboten. Jetzt ist es auf jeden Fall so, dass die Kassen die Therapie bezahlen. Das fragen mich aber auch immer wieder Leute – auch auf Instagram beispielsweise.

Du hast eine Zwillingsschwester. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, dann hat sie mittlerweile auch Probleme mit der Blase. Inwieweit war euch als eineiigen Schwestern klar, dass das, was die eine erlebt, auch die andere treffen kann?

Birgit Bulla: Ehrlich gesagt gar nicht. Das war auch total komisch, als das bei meiner Schwester angefangen hat. Sie war ja live dabei, als das bei mir gestartet ist. Sie war die erste Person, mit der ich offen über meine Reizblase geredet habe, und schon auch immer sehr einfühlsam. Am Anfang war sie sehr mitfühlend. Aber irgendwann war sie schon auch genervt und meinte: „Man, es kann doch echt nicht sein, dass du schon wieder aufs Klo musst…“

Wenn ich muss, dann ist es auch nicht so, dass ich nach der nächsten Toilette Ausschau halte und dann eben schnell hingehe. Wenn ich muss, dann muss ich. Entweder, ich knie mich dann hin, oder es läuft halt einfach. Das hat meine Schwester nie verstanden. Sie meinte in solchen Situationen dann immer: „Komm, da vorne ist doch ein Klo. Dann geh doch eben schnell.“ Aber ich kann dann nicht mehr laufen, das geht nicht mehr.

Seit sie das Problem auch hat – seit knapp zwei Jahren ungefähr – , versteht sie mich. Seitdem weiß sie, wie schrecklich das ist. Auf der anderen Seite ist sie total dankbar dafür, dass ich ihr den Weg quasi vorgeebnet habe. Sie weiß durch mich, was auf sie zukommt und hat sich direkt Botox spritzen lassen. Ich habe das erst relativ spät gemacht, habe es erst mit irgendwelchen Medikamenten probiert und mit Beckenboden-Therapien. Meine Erfahrungen machen es ihr natürlich einfacher.

Empfindest du es eher als gut, dass du deine Schwester in der Beziehung so gut beraten kannst oder überwiegt das ungute Gefühl, weil ihr jetzt halt beide von Inkontinenz betroffen seid?

Birgit Bulla: Nein, ich bin total froh, dass ich ihr helfen kann. Sie ist dankbar und – obwohl sich das blöd anhört – ist es für mich ehrlich gesagt auch ein bisschen angenehm, dass meine Schwester mich jetzt wirklich versteht. Leute, die keine Reizblase haben, können es sich nicht vorstellen, wie es ist, damit zu leben.

Was ist deine urologische Zukunftsprognose? Das kann deine persönliche Einschätzung oder eine ärztliche sein. Also: Wird sich an dem Zustand deiner Blase – das Botox mal abgezogen – voraussichtlich etwas ändern? Oder rechnest du allein für deine Psyche erst einmal nicht damit?

Birgit Bulla: Ich habe schon das Gefühl, dass meine Blase sich durch das Botox wieder besser dran gewöhnen kann, wie normale Miktion funktioniert. Das haben mir auch ein paar Ärzte gesagt, dass es passieren kann. Je öfter ich mir Botox spritzen lasse, desto länger werden die Intervalle. Ich habe das Gefühl, meine Blase und ich sind mehr im Einklang miteinander.

Sie ist ruhiger?

Birgit Bulla: Genau. Das ist vielleicht der Gewöhnungseffekt. Aber sonst… Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Blase ohne Botox wieder komplett normal wird. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich ehrlich gesagt auch gar nicht mehr weiß, wie sich pinkeln mit normaler Blasenfunktion anfühlt. Aber klar denke ich manchmal darüber nach, wie es wäre, jetzt schwanger zu werden und ein Kind zu bekommen, also eine Geburt zu erleben. Das macht ja etwas mit dem Hormonhaushalt und mit dem kompletten Körper. Vielleicht wäre – wenn das Kind draußen ist – auch die Blase anders. Kann sein. Weiß ich aber nicht.

Gibt es irgendetwas, was du Menschen mit auf den Weg geben möchtest, die jetzt seit Kurzem mit einer Dranginkontinenz leben?

Birgit Bulla: Also, erst einmal sollten sie Pinkelbelle folgen – lacht. Das hört sich ein bisschen blöd an, aber sie sollten meine Posts lesen, weil es einfach eine Hilfe ist, wenn man merkt: Da ist noch jemand, dem geht es genauso, der ist nicht schon über 50 und diesen Weg auch gegangen. Der kann einem gut Tipps and die Hand geben. Man merkt, dass man nicht allein ist. Das finde ich schon wichtig, weil man dann vielleicht auch den Weg zum Arzt oder zur Ärztin weniger scheut. Es ist schwierig, sich in einer urologischen Praxis zu offenbaren, wo einem unangenehme Fragen gestellt werden. Wer meine Posts liest, weiß, was da auf einen zukommt, welche Untersuchungen gemacht werden, dass es natürlich unangenehm ist. Aber wenn man weiß, dass da noch andere Menschen sind, eine Community von Leuten, die das auch haben, dann fällt einem das leichter. Und man sollte zum Urologen oder zur Urologin gehen, denn da kann einem geholfen werden. Aber das geht natürlich nur, wenn man über seinen Schatten springt, und sich auch helfen lassen möchte; sich nicht im Kämmerchen versteckt und gar nicht mehr vor die Tür geht, weil man sich in die Hose macht. Das ist das Wichtigste!

Autorin: Birgit Bulla
Das ist die Autorin: Birgit Bulla Bulla schreibt Texte für Beauty- sowie Lifestyle-Magazine. Diese Neigung zum geschriebenen Wort führte wohl auch dazu, dass die 39-Jährige die Reizblase, mit der sie seit rund zwölf Jahren lebt, zum Thema ihres Pinkelbelle-Blogs sowie anschließend zu dem zweier Bücher machte: 2020 erschien „Noch ganz dicht? Alles Wissenswerte über die Blase“ und „Wenn die Blase nervt – Alles Wissenswerte über ein reizendes Organ“, das 2022 rausgekommen ist (beide vom Verlag hanserblau). Die Rechte für „Noch ganz dicht?“ sind mittlerweile in mehrere Länder verkauft worden – so gibt es das Buch unter anderem auch auf Norwegisch. Birgit Bulla lebt in München und engagiert sich für Tierschutz.

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Juliane Klug

Als Redakteurin liebt es Juliane, in immer neue Themen einzutauchen. Wenn sie anderen Menschen komplexe Dinge verständlich näherbringen kann, ist sie in ihrem Element. Seit dem Frühjahr 2022 sorgt Juliane im Marketing-Team von Citycare24 für Content.

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