Den Beipackzettel im Blick und das Training im Kalender
Die ungefähre Lesezeit beträgt 15 Minuten.
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Wer, warum und wieso? Auf Darm- und Blasenschwäche bezogen sind das Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Experten nennen die Harninkontinenz nicht umsonst ein „multifaktorielles Geschehen“ (Expertenstandard, Seite 51). Denn es gibt einfach viele Faktoren, die den Kontrollverlust im Bereich der Ausscheidungsorgane begünstigen. Deshalb ist auch die Liste der medizinischen Fachrichtungen lang, bei denen Betroffene potenziell richtig sind: Urologie, Gynäkologie, Proktologie, Rehabilitation, Neurologie, Geriatrie und Chirurgie. Worauf Menschen achten können, um gar nicht erst inkontinent zu werden oder ihre Kontinenz wiederherzustellen, greift der folgende Text auf.
Ursachen und Risikofaktoren
Alter
Generell steigt mit dem Alter die Wahrscheinlichkeit dafür, inkontinent zu werden. Denn jedwede Muskulatur erschlafft mit der Zeit. Der Expertenstandard unterstreicht außerdem: „Personen mit einem labilen Gesundheitszustand, die in den Aktivitäten des täglichen Lebens eingeschränkt sind, eine erhöhte pflegerische Abhängigkeit aufweisen, in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, Gehhilfen nutzen oder bereits von Stürzen betroffen waren, haben ein erhöhtes Risiko, eine Inkontinenz zu entwickeln“ (Du Beau und Milsom et al. 2009 im Expertenstandard, Seite 49). Eine Beschreibung, die zumindest in Teilen wohl auf viele ältere Menschen zutreffen dürfte.
Anatomie und Hormone
Blasen- und Darmschwäche treffen Frauen sehr viel öfter als Männer. Das hat mit der weiblichen Anatomie zu tun, die zum einen darauf ausgelegt ist, Schwangerschaften und Geburten zu ermöglichen. Deshalb ist das Bindegewebe von Frauen zum einen elastischer. Zum anderen lässt ihr Halteapparat neben den Öffnungen für Anus und Harnröhre auch noch Platz für die Vagina.
Werden Frauen tatsächlich schwanger, belastet das ihren Beckenboden enorm. Je nachdem, wie kräftig der Halteapparat ist und manchmal auch abhängig von der Lage und den Bewegungen des Kindes, können in der Schwangerschaft schon mal ungewollt Urinspritzer abgehen. Experten zufolge sind Frauen, die während dieser Zeit oder kurz nach Geburt inkontinent waren, gefährdeter, später in ihrem Leben eine Blasenschwäche zu bekommen (Expertenstandard Seite 50). Mehrere Geburten und schwere Kinder erhöhen das Risiko zudem.
Im Wortsinn ein Einfallstor ist auch die Harnröhre des weiblichen Körpers. Dadurch, dass diese vergleichsweise kurz ist, haben es Bakterien bei Frauen leichter, sich bis zur Blase hochzuarbeiten und dort eine Entzündung auszulösen. Kommen diese öfter vor, können sie die Blase so sehr reizen, dass eine Inkontinenz entsteht. Zudem haben hormonelle Umstellungen wie die Menopause Einfluss auf die Kontinenz.
Bei Männern kann eine gutartige Vergrößerung der Prostata dazu führen, dass sie plötzlich den Drang verspüren, auf Toilette zu müssen, dass sie häufig zum Klo müssen sowie ungewollt und an unpassenden Orten Urin verlieren.
Gewicht, Gewichte und Sport
Der Beckenboden sorgt dafür, dass die Organe an der Stelle im Körperinneren bleiben, an die sie gehören. Setzt man oder frau ihn zu viel Druck aus, gibt er irgendwann nach. Das begünstigt Inkontinenz. Deshalb gehört Übergewicht zu den Risikofaktoren für Inkontinenz. Auch Menschen, die ständig schwere Dinge heben, laufen Gefahr, die Elastizität des Muskelgeflechts in der Becken-Region nachhaltig zu schädigen.
Aus demselben Grund gehört auch Sport zu den Aktivitäten, bei denen es besonders für Frauen Maß zu halten gilt: „… [H]ohe biomechanische Belastungen bei Sprüngen und Drehbewegungen, wie sie bei vielen Ballsportarten (Basketball, Handball, Volleyball, Fußball), beim Turnen, rhythmischer Sportgymnastik, Trampolin, Ballett, in der Leichtathletik, beim Kugelstoßen, Weit- und Dreisprung, aber auch bei Kraftsportarten typisch sind, [stellen] eine große Belastung für den Beckenboden dar. Abhängig von Trainingshäufigkeit und Intensität können die auftretenden Kräfte die Beckenbodenmuskulatur überlasten“ („Problemzone Beckenboden“, Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Seite 3).
In der Pflege und mit Medikamenten
„Die Einnahme von Medikamenten wie Anticholinergika, Diuretika, Opiate oder Psychopharmaka können das Risiko einer Harninkontinenz erhöhen“ (Expertenstandard, Seite 49). Deshalb ist es immer sinnvoll, den Beipackzettel von Tabletten, Spritzen und Schmerzpflastern zu studieren, sollten Kontinenz-Probleme ganz plötzlich auftreten.
Ungünstige örtliche Voraussetzungen können außerdem dazu beitragen, dass es Menschen, die bis vor Kurzem noch die Kontrolle über ihren Darm und ihre Blase hatten, nicht mehr rechtzeitig zur Toilette schaffen. Und zwar dann, wenn etwa das nächste Bad nur schwer zu erreichen ist. Unmotiviertes Pflegepersonal und eine mangelhafte Versorgung mit Hilfsmitteln verschlechtern die Lage weiter (Expertenstandard, Seite 49).
Krankheiten
Zunächst müssen an dieser Stelle vererbte Prädispositionen zur Sprache kommen, also genetische Veranlagungen. Es ist zwar noch nicht gänzlich erforscht, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand inkontinent wird, wenn es seine oder ihre Eltern sind. Dennoch könnten die Erbanlagen hier eine Rolle spielen.
Des Weiteren verändern Krankheiten den Kontinenz-Status einiger Menschen. Diese müssen gar nicht direkt mit den Ausscheidungsorganen im Zusammenhang stehen. „Patienten mit neurologischen Erkrankungen, Apoplex oder Demenz sind häufiger von Inkontinenz betroffen, wie auch Personen mit Zuständen von Verwirrtheit. Neurochemische und hormonelle Veränderungen stehen in Verdacht, bei depressiven Patienten das Risiko einer Harninkontinenz zu erhöhen. Diabetes (vor allem bei Frauen) wird als weiterer Risikofaktor angesehen“ (Du Beau und Milsom et al sowie AWMF, alle 2009, im Expertenstandard, Seite 49).
Schauen wir noch auf einen weiteren medizinischen Bereich: Operationen im Bereich des Unterleibs. „Nach radikaler Prostatektomie sind, in Abhängigkeit der Operationstechnik, der Definition der Inkontinenz oder des Untersuchungszeitraumes, zwischen 2 bis 75 Prozent der operierten Männer von Harninkontinenz betroffen“ (Milsom et al., 2009 im Expertenstandard, Seite 51). Auf Frauen-Seite besteht der Verdacht, dass die eine Hysterektomie oder Prolaps-Operationen mit Inkontinenz einhergehen können (Expertenstandard, Seite 51).
Prävention
Das Allerwichtigste, um einem schlaffen Beckenboden zuvor zu kommen, ist, ihn regelmäßig zu trainieren. Eine gute Voraussetzung dafür ist, dass man weiß, wo sich das Muskel-Geflecht befindet, es nachzuspüren und gezielt ansteuern zu können. Spezielle Übungen etwa von Physiotherapeut(inn)en und Sport allgemein helfen, es zu stärken. Dafür eignen sich beispielsweise Gymnastik, Yoga, Pilates, Schwimmen, Reiten, Tanzen, Skaten und Radfahren. Aber wie bereits erwähnt: Viel hilft nicht unbedingt viel. „Exzessive sportliche Betätigung kann den Beckenboden von Frauen belasten, wohingegen moderate körperliche Bewegung schützend wirkt und Stressinkontinenz, nicht jedoch Drang- und Mischinkontinenz, durch diese gesenkt werden kann. Die Studienlage ist jedoch spärlich…“ (Expertenstandard, Seite 51).
Um einer Darmschwäche zuvorzukommen ist es einer Broschüre der Kontinenz-Gesellschaft zufolge zudem wichtig, viel zu trinken und sich ballaststoffreich zu ernähren. Andernfalls kann der Darm träge werden, was Inkontinenz begünstigen kann.
Einigen generellen Informationen sowie den markierten Zitaten liegen folgende Quellen zugrunde:
„Expertenstandard – Förderung der Harninkontinenz in der Pflege”, 1. Aktualisierung 2014, Herausgeber: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), Osnabrück.
Verein zur Förderung der Sportmedizin Hannover e.V. (Link), Stand: 02. August 2022.
Broschüre „Harn- und Stuhlinkontinenz (Blasen- und Darmschwäche)“ der Deutschen Kontinenz-Gesellschaft*, Ausgabe 02/2022, Frankfurt am Main.
* Hinter der Deutschen Kontinenz-Gesellschaft verbergen sich auf Mitglieder-Basis Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal und Physiotherapeuten. Gefördert wird der Verein von großen Unternehmen, die auf dem Gebiet Inkontinenz und damit zusammenhängenden Feldern wie Hilfsmitteln und Behandlung zu tun haben. Dazu gehören unter anderem Essity (Tena), Paul Hartmann, Attends, B. Braun, Coloplast sowie auch Hollister.