Vorbereitung auf den Ruhestand

Vorbereitung auf den Ruhestand
Vorbereitung auf die Rente

„Angst vor einem Neuanfang hat man mit 18 und auch mit 68“

Die ungefähre Lesezeit beträgt 20 Minuten.

Den Satz „Ich bin immer der jüngste im Seminarraum“ können nicht viele Seminarleiter von sich behaupten. Matthias Frischer aus Weyhe allerdings schon. Der 45-Jährige ist systemischer Coach und Trainer für interkulturelle Kommunikation (60plus-engagiert.de). Im Zuge des Projektes Sprungfeder der Freiwilligen-Agentur Bremen – aber nicht nur da – gibt er beispielsweise das Orientierungsseminar „Ruhestand – und dann?“ Angebote wie dieses sollen verhindern, dass angehende Rentner und Rentnerinnen eine Sinnkrise erleben, sobald sie morgens nicht mehr für die Arbeit aufstehen müssen. Aber oft sind diese dreitägigen Veranstaltungen keine Einbahnstraße. Matthias Frischer hat sich auch auf die Fahnen geschrieben, das Potential der Babyboomer zu nutzen. Wie, das hat er im Interview erzählt.

Herr Frischer, Hand aufs Herz: Verpflanzen Sie alte Bäume? Das soll man doch sprichwörtlich gar nicht tun.

Matthias Frischer: Ich verpflanze die alten Bäume nicht. Ich würde sagen, ich besinne sie ein bisschen auf ihre Wurzeln und ich ermutige sie, den Ast auch mal dahin zu strecken, wo sie es sich vielleicht noch nicht getraut haben.

Wenn ich an Orientierungsseminare denke, dann fällt mir die Schule ein, dann fallen mir die ersten Tage im Studium ein – und eigentlich wissen ältere Menschen doch schon alles, haben eine Menge Lebenserfahrung. Welche Orientierung geben Sie den angehenden Rentnerinnen und Rentnern in Ihren Seminaren? Wie nehmen Sie sie an die Hand?

Matthias Frischer: Hier klafft wirklich gesellschaftlich eine Lücke. Für die jungen Erwachsenen haben wir erkannt, dass es in einer Umbruchsituation – also einmal raus aus der Schule – gar nicht so einfach ist, eine Entscheidung zu treffen. Das geht den Menschen, die vom Arbeitsleben in den Ruhestand gehen, ähnlich. Es gibt natürlich Leute, die damit überhaupt kein Problem haben. Die gleiten einfach in den Ruhestand und finden ganz tolle Sachen, sind sowieso schon mit ihren Hobbys beschäftigt und haben ganz viel zu tun. Aber es gibt eben auch viele, die denken, dass es weitergeht wie bisher nur mit ganz viel mehr freier Zeit – und das stimmt ja nicht. Denn es fällt ja auch vieles weg: Es fällt die vorgegebene Tagesstruktur weg, Kollegen lässt man zurück – das ist auch eine soziale Komponente. Es fällt die sinnvolle Tätigkeit weg, gebraucht zu werden, sich leistungsvoll zu erleben, sich selbstwirksam zu erleben, also dass ich erlebe, dass ich etwas bewirken kann. Es geht auch um Rollenidentitäten: Wer bin ich denn eigentlich, wenn ich nicht mehr den beruflichen Hut aufhabe? Wer bin ich dann?

Klar, ältere Menschen haben eine gewisse Lebenserfahrung und dennoch sind sie vor dieser Umbruchsituation, dieser Orientierungslosigkeit nicht geschützt. Hier biete ich einen Raum und Werkzeuge an, damit sie sich einfach dessen bewusst werden, was so bleiben darf, wie es ist und was sich noch einmal verändern darf und in welche Richtung. Dazu kommt auch noch, dass ich, wenn ich etwas verändern möchte, auch den Mut dazu entwickele. Da gibt es manchmal auch hemmende Glaubenssätze, Zweifel, die Frage „Packe ich das überhaupt noch?“ – solche Bedenkenträger in mir. Darum geht es auch. Denn Alter schützt nicht vor Gefühlen wie Angst vor einem Neuanfang. Die hat man mit 18 und die hat man auch noch mit 68.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, an der Stelle anzusetzen – also bei der Orientierung für Menschen im Rentenalter?

Matthias Frischer: Ich habe sieben Jahre lang beim Sozialen Friedensdienst Bremen im Bereich Jugendfreiwilligendienste gearbeitet und junge Erwachsene in ihrem freiwilligen sozialen Jahr begleitet. Unser Chef hat damals gesagt: „Die finden schon heraus, ob die Tätigkeit, die sie da machen, beruflich zu ihnen passt oder nicht.“ Die Rechnung ist aber nicht aufgegangen. Wir hatten Leute, die in der Schule, im Kindergarten oder in Kultureinrichtungen gearbeitet haben. Die fanden toll, was sie da machen, aber wollten das nicht beruflich weitermachen. Von daher haben wir gesagt, wir müssen ein Format entwickeln, mit dem diese Freiwilligen noch besser herausfinden können, was sie interessiert, begeistert, wirklich am Herzen liegt und wofür es eine innere Leidenschaft gibt. Das hat gut funktioniert und kam gut an, sodass wir das dann weitergemacht haben.

Der soziale Friedensdienst hat zwei Abteilungen. Das eine sind die Jugendfreiwilligendienste und die andere Abteilung ist die Freiwilligen-Agentur. Von außen wird das immer als getrennt wahrgenommen. Die Leute verstehen nicht, dass das ein Verein ist, der zwei Programme anbietet. Damals war auch die Frage, was uns denn verbindet. Bei einer Klausurtagung kam auf, dass wir Menschen in Übergangssituationen begleiten. Die älteren wollen sich engagieren, die jüngeren wollen sich auch engagieren. Das haben beide gemeinsam. Ich bin dann irgendwann zur Diakonie Bremen gegangen und habe gesagt: „Lasst uns doch mal ein Seminar machen, in dem wir Jung und Alt zusammenbringen.“ Beide sind schließlich in einer Umbruchsituation und beide suchen Orientierung. Das Seminar war total cool! Es war sehr bereichernd – für alle. Es war auch nicht so, dass die Alten gesagt hätten: „So und so geht’s.“ Überhaupt nicht. Die Jüngeren haben gesehen, wo die Älteren früher manchmal aus Angst zurückgezogen haben und das vielleicht bis heute bereuen. Das hat ihnen Mut gemacht, wirklich dem nachzugehen, wo das Herz aufgeht und nicht auf die Angst zu hören. Oder die Älteren hatten Netzwerke, an die die Jüngeren andocken konnten. Die Jüngeren wiederum hatten eine Aufbruchstimmung, die die Älteren begeistert hat. Es war super, wie die Teilnehmenden sich gegenseitig inspiriert haben!

Wir haben das damals Visionssuche genannt. Es war allerdings total schwierig, junge Leute dafür zu kriegen. Die haben schon ab der 8. Klasse Berufsorientierung und sind bei dem Thema ein bisschen satt. Aber die älteren Menschen sind uns die Bude eingerannt. Da hatten wir mehr Nachfragen, als wir Plätze gehabt haben. So haben wir gesehen, dass es dafür Bedarf gibt. So sind die jetzigen Seminare entstanden. So ist mein Fokus zu den älteren Menschen hingegangen. Für sie gibt es nur wenige Angebote.

Matthias Frischer

Matthias Frischer

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Welche Menschen-Typen finden denn den Weg zu Ihnen?

Matthias Frischer: Es sind ganz unterschiedliche Typen. Aus den unterschiedlichsten Berufszweigen und sozialen Milieus. Auch die Motive, an dem Seminar teilzunehmen, sind verschieden. Die einen wollen zwei, drei Jahre vor ihrem Ruhestand schon einmal schauen, wie sie die Zeit in ihrem nächsten Lebensabschnitt gestalten wollen. Andere kommen ein, zwei Jahre nachdem sie schon im Ruhestand sind, weil sie merken, dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt oder sie nach etwas Sinnvollem suchen. Gemeinsam haben alle eine gewisse Affinität zur Selbstreflexion. Sonst kommt man nicht in meine Seminare. Die gehen ja schließlich auch drei Tage lang. Das ist keine Info-Veranstaltung, sondern es geht schon darum, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Diese Offenheit muss da sein.

Können Sie mal ein paar Beispiele nennen, was für Ideen in Ihren Seminaren aufkommen. Welche Möglichkeiten tauchen denn oft auf? Kommen Teilnehmende auf die Idee, jetzt doch mit dem Stricken anzufangen oder ist es die Fremdsprache? Sind es Ehrenämter? Und was machen introvertierte Menschen, die gar nicht so gut mit anderen können, aber trotzdem gerne eine Idee hätten, wie sie das letzte Lebensdrittel sinnvoll nutzen?

Matthias Frischer: Da gibt es kein Stereotyp, das ist wirklich bunt gemischt. Eine Frau war zum Beispiel Kita-Leitung. Schon als Schülerin hing sie allerdings immer in der Bibliothek rum. Sie liebte diese Atmosphäre, diese Stille und in die Ruhe eintauchen zu können. Im Seminar hat sie diese tiefe Leidenschaft wiederentdeckt. Und dann hat sie irgendwann angefangen, ehrenamtlich bei der Gemeindebibliothek zu arbeiten.

Ich hatte auch schon mal einen Ingenieur, der mit den Vorschulkindern in der Kita naturwissenschaftliche Experimente gemacht hat. Das war auch schön. Dann tauchen Fahrradwerkstätten öfter mal auf, weil Leute selbst gern an Rädern rumschrauben und dann auch Lust haben, junge Leute dabei zu unterstützen, besser mit ihrem Bike zurechtzukommen. Oder mit Geflüchteten zu arbeiten. Ich hatte auch mal einen Bänker, der wollte unbedingt etwas mit jungen Leuten machen. Er meinte, dass er in den letzten Jahren immer nur mit älteren Leuten zu tun gehabt hätte. Klar gibt es auch junge Menschen in einer Bank, aber da war dann auch immer die Hierarchie… Deshalb hatte er Lust, etwas mit jungen Leuten zu machen und ist dann in die Flüchtlingshilfe gegangen.

Ich habe auch Leute im Seminar, die merken, wie toll ihr Job ist und den dann vielleicht noch mal verlängern, aber zu den Konditionen und Bedingungen, die sie sich wünschen – mit einem ganz anderen Zeitkontingent. Dann habe ich Leute, die wollen sich gar nicht engagieren. Die sagen: „Auf gar keinen Fall! Ich möchte mir nicht schon wieder die nächste Bürde aufladen. Ich habe so viel in den letzten Jahren in einem gewissen Takt funktioniert. Ich brauche jetzt erst einmal Raum.“

Wenn ich ganz viel Zeit hätte, wäre mein erster Gedanke, ganz viele Bücher zu lesen, die ich irgendwo liegen habe. Dann würde ich reisen, würde mehr mit Freunden und Familie machen. Ist an so einer Herangehensweise mit Blick auf den Ruhestand etwas falsch?

Matthias Frischer: Um Gottes willen, daran ist gar nichts falsch! Das ist super. Aber vielleicht sind die Bücher irgendwann ausgelesen. Reisen ist einfach kein Alltag. Das machen viele, waren vielleicht sogar vier, fünf oder sechs Wochen unterwegs und merken dann, dass das Jahr einfach 52 Wochen hat. Klar gibt es da auch noch den Garten, aber der ist auch schon gepflegt. Also: Diese viele freie Zeit wird irgendwann zu einer Leere. Und aus dieser Leere heraus entsteht oft die Lust, noch etwas Sinnvolles zu tun.

Wenn Sie Bücher lesen, dann ist das super! Mir geht es nicht darum, die Leute irgendwo hin haben zu wollen. Mir geht es eher darum, dass die Leute einen zufriedenen Ruhestand haben. Das ist wichtig.

Gibt es zu viele Menschen, die unzufrieden sind in ihrem letzten Lebensdrittel? Die sich vorher zu wenige Gedanken machen und zu wenig vorsorgen?

Matthias Frischer: Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die sich damit abfinden, wie es ist. Ob das eine bewusst wahrgenommene Unzufriedenheit in ihnen ist, das kann ich gar nicht sagen. Aber sie sind nicht so richtig glücklich. Die finden sich damit ab. Und dann gibt es eben auch Leute, die wollen sich nicht damit abfinden.

Die Frage ist: Wie willst du deine Zeit denn verbringen? Es gibt Leute, die gucken so viel Fernsehen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Das ist halt dann so für sie und das ist auch okay. Daran ist nichts falsch. Aber es kann eben auch sein, dass es erfüllender ist, wenn man sich irgendwo selbstwirksam erlebt. Selbstwirksamkeit ist, dass du dich ausdrückst. Das allein macht ja schon glücklich. Dass du dich ausdrückst auf deine Art und Weise – nicht, wie es dir jemand vorgibt, indem er wie im Berufsleben manchmal sagt: „Du solltest und müsstest.“ Sondern dass man macht, worauf man Lust hat.

Bis zu Ihrem Ruhestand ist es noch etwas hin. Haben Sie trotzdem schon vorgesorgt und einen Plan?

Matthias Frischer: Einen Plan habe ich noch nicht. Dafür sind es dann doch noch zu viele Jahre in der Zukunft. Aber ich werde wahrscheinlich sehr lange arbeiten. Ich liebe meine Arbeit und fühle mich bei dem, was ich mache, sehr an meinem Platz. Außerdem schaue ich mittlerweile sehr positiv auf das Älterwerden.

Mit 18 dachte ich über die 30-Jährigen: „Och, sind die langweilig. Die haben doch gar keinen Spaß mehr am Leben.“ Das war auch leichte Jugendüberheblichkeit. Aber ehrlich: Je älter ich werde, desto besser wird’s! Das ist schön zu sehen, wie ich mich da mit 18 geirrt habe – lacht. Mein Leben wird immer erfüllender. Das ist eine schöne Entwicklung.

Wir haben jetzt viel über den Seminarinhalt gesprochen, bei dem es um die Teilnehmenden und eine Alternative für den Beruf oder ihre Zeit mit sich selbst geht. Jetzt ändert sich ja auch die Situation zu Hause. Wenn ich mal von einem klassischen Paar ausgehe, bei dem beide oder zumindest einer jahrzehntelang einer Beschäftigung nachgegangen ist und acht Stunden oder sogar länger nicht zu Hause war. Und plötzlich ist er oder sie diese acht Stunden da. Inklusive Wachstunden, die man sonst um die Arbeit herum gehabt hat, macht das sehr viel Zeit, die man mit der Frau oder dem Mann an seiner Seite oder mit den anderen Hausbewohnern verbringt. Fangen Sie so etwas auch auf?

Matthias Frischer: Ja, das sind Themen. Wir arbeiten manchmal auch mit dem Lebensrad. Dabei geht es darum, herauszufinden, in welchen Lebensbereichen es rund läuft – sei es jetzt der Beruf, die Partnerschaft, das Thema Geld, Freunde, die Familie, das Thema persönliche Entwicklung, Gesundheit… Wir schauen, wo es rund läuft und in welchem Lebensbereich merkst du: Ach, irgendwie habe ich das ein bisschen vernachlässigt, da läuft es gerade nicht so rund. Dann widmen sich die Teilnehmenden diesem Lebensbereich. Und das ist auch oft das Thema Partnerschaft und Beziehungsgestaltung. Das ist wichtig! Es ist – wie Sie es beschrieben haben – viel freie Zeit und die will gestaltet werden.

Für viele ist auch die Wohnform ein Thema. Die sitzen zum Beispiel allein in einem Altbremer Haus und merken: Das ist es nicht. Aber was ist es denn dann? Viele träumen von einer Art WG, aber nicht mehr so wie früher als Student, sondern mit mehr eigenem Raum. Das ist auf jeden Fall auch ein Riesen-Thema – gerade in der Generation jetzt. Weil eben auch die Kinder nicht mehr klassisch um die Ecke wohnen und die Enkelkinder nicht da sind.

Allgemein formuliert biete ich einen Prozess an, gebe nicht viel vor. Die Leute erforschen dann für sich, was ihnen wirklich wichtig im Leben ist und am Herzen liegt. Wo sie eine Sehnsucht nach Veränderung verspüren und ihnen vielleicht auch Zweifel und Ängste im Wege stehen. Sie tauschen sich mit Anderen in einer ähnlichen Lebenssituation aus und bringen das, worüber sie oft grübeln, in Beziehung und Kontakt. Das tut den meisten sehr gut und schafft Klarheit für den nächsten Schritt. 

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Juliane Klug

Als Redakteurin liebt es Juliane, in immer neue Themen einzutauchen. Wenn sie anderen Menschen komplexe Dinge verständlich näherbringen kann, ist sie in ihrem Element. Seit dem Frühjahr 2022 sorgt Juliane im Marketing-Team von Citycare24 für Content.

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